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Schlagwort: Bildung

Schule, aber gerecht – diskriminierungskritische Schulentwicklung weiterdenken

Schule, aber gerecht – diskriminierungskritische Schulentwicklung weiterdenken

Wie kann eine Schule aussehen, die allen Jugendlichen – unabhängig von (sozialer) Herkunft, Geschlecht oder Behinderung – gerechte Zugänge in die Berufswelt ermöglicht?

Unter dem Titel „Aus der Schule in den Beruf – Diskriminierungskritische Schulentwicklung weiterdenken” kamen am 1. Oktober 2025 Menschen aus Schulen, Berufsorientierung/ -beratung und Zivilgesellschaft zusammen. Im Mittelpunkt standen konkrete Fragen: Wie gelingt Empowerment im Schulalltag? Was braucht es für diskriminierungskritische Übergänge von Schule in den Beruf? Und welche Gelingensfaktoren und Herausforderungen zeigen sich in der Praxis?

Besonders schön waren die vielen neuen Gesichter und Organisationen, die sich bereits in den Kennenlernrunden austauschten und vernetzten. Bereits hier wurde der Bedarf zum Austausch über diskriminierungskritische und empowerment-orientierte Ansätze in der Schule deutlich: Teilnehmende sprachen von wenig Bewusstsein im Kollegium über potentielle Verletzungen im Schulalltag, der Notwendigkeit besser mit Schüler*innen in Kontakt zu stehen, und dem Wunsch nach Unterstützung und Begleitung von außen.

Schulen als Mikrokosmos – über institutionelle Ausgrenzungsmechanismen und Empowerment

Welche Rolle Empowerment in der Berufsorientierung spielt, dazu sprach Toan Nguyen. Er ist freiberuflicher systemischer Berater (Supervision und Organisationsentwicklung) sowie politischer Bildungsreferent im Themenfeld von Antidiskriminierung, Diversity und Empowerment. In seinem Impulsvortrag machte er den Rahmen von Empowerment deutlich:

„Wir würden nicht über Empowerment sprechen, wenn es kein Disempowerment gäbe. Wir können nicht von Schulen sprechen, die frei von Rassismus und Diskriminierung sind. Schulen sind ein Mikrokosmos der Gesellschaft und spiegeln gesellschaftliche Dynamiken wider: strukturelle und institutionelle Diskriminierung, Rassismus, Ausgrenzungsmechanismen.“ – Toan Nguyen

Wichtig für einen empowerment-orientierten Ansatz sei es, sich zu den Themen Antidiskriminierung und Diversity (weiter) zu bilden, Haltung zu zeigen und handlungsfähig zu bleiben. Man müsse sich damit auseinandersetzten und verstehen, welche Auswirkungen Diskriminierung auf das Leben von Menschen habe und die eigene Position auf Prägungen und Sozialisation reflektieren.

Praxisnahe Einblicke

In den anschließenden parallelen Workshops wurde es praktisch: Die Teilnehmenden bekamen konkrete Einblicke in Antidiskriminierungsvorhaben, Lernprozesse und weitere Handlungsimpulse. Dabei ging es nicht um abgeschlossene Best-Practice-Beispiele, sondern um reale Prozesse, Aushandlungen und auch Unsicherheiten:

  • Die Kepler Schule Neukölln berichtete zu ihren Erfahrungen und Herausforderungen beim Aufbau von wirksamen Antidiskriminierungsstrukturen. In ihrer AG Antidiskriminierung & Vielfalt, in der Schüler*innen, Lehrkräfte und Sozialarbeiter*innen gemeinsam daran arbeiten, ein respektvolles, wertschätzendes und gewaltfreies Miteinander zu fördern, entstand bislang eine schulweite Umfrage zu Diskriminierungserfahrungen in der Schule, ein Leitbild und dafür durchgeführte Workshops. Wie sie als Schule bei Diskriminierungen intervenieren können, dazu entwickeln sie aktuell einen Handlungsleitfaden. Diskussionspunkte in der Kleingruppe waren, ob und wie eine informierte Partizipation von Schüler*innen im Machtraum Schule möglich ist und was es für funktionierende und vertrauensvolle Antidiskriminierungsstrukturen und Handlungssicherheit an Berliner Schulen braucht.
  • Der Träger FORUM Berufsbildung e.V. brachte einen Beitrag zu rassismuskritischen und empowerment-orientierten Berufsorientierungsformaten ein. In einer Prozessbegleitung mit BQN hat der Träger einen praxisnahen Leitfaden zur Planung, Umsetzung und Auswertung rassismuskritischer und empowerment-orientierter Workshops in der Berufs- und Studienorientierung entwickelt und im Rahmen des Workshops vorgestellt. Wie die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Schüler*innen in den Fokus gestellt werden können und welche Handlungsmacht Trainer*innen haben – darum ging es im Prozess und der Kleingruppendiskussion.
  • Was es für einen intersektionaler und diskriminierungskritischen Ansatz in der Berufsorientierung braucht, dazu leitete die Kompetenzstelle intersektionale Pädagogik (i-Päd) einen Workshop. Dabei gab sie Impulse, wie Merkmale wie (vermutete) Herkunft und/oder Religion, sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität, sozialer Status, Alter, Aussehen sowie körperliche und geistige Befähigungen alle Menschen betreffen, sich jedoch je nach Zusammenspiel unterschiedlich auswirken. Teilnehmende bekamen Einblicke in verschiedene Wirkebenen von Diskriminierung und wie sie sich im Kontext von Berufsorientierung manifestieren – und auch, wie sie sich als Lehrkräfte und pädagogisches Personal möglicher Ausschlüsse bewusst werden und aktiv gegensteuern können.

Die Beispiele gaben Einblicke in die tiefe Verbindung von Antidiskriminierungsarbeit und Berufsorientierung. Sie verdeutlichten die vielfältigen Ansätze und Strategien, um Teilhabe und Empowerment in Schulen und der Berufsorientierung zu fördern. Klar wurde dabei: Schulen und deren Personal tragen Verantwortung, sich strategisch, strukturell und alltäglich für gerechte Zugänge in die Berufswelt und einen diskriminierungskritischen Schulalltag einzusetzen.

Schulen als Ort der Veränderung: Herausforderungen und Gelingensfaktoren in der Praxis

Den Abschluss des Tages bildete das Panel “Berufsorientierung 2.0 – weiterdenken, neu denken oder gar umdenken?”. Zentraler Diskussionspunkt dieses fachpolitischen Gesprächs waren die Gelingensfaktoren und Herausforderungen einer diskriminierungskritischen Gestaltung im Übergang von der Schule in den Beruf. Neben der schulischen Perspektive vertreten durch Jonas Schmidt (Qualitätsmanagement-Beauftragter der Kepler Schule Neukölln) brachten Tuğba Tanyılmaz (Geschäftsführerin vom Migrationsrat Berlin e.V., Mitbegründerin und Projektleiterin der Kompetenzstelle intersektionale Pädagogik (i-Päd)) und Serdar Yazar (Co-Geschäftsführer von BQN – Zentrum für Diversitätskompetenz) weitere pädagogische, politische und praxisnahe Impulse ein. Das Panel wurde inhaltlich ergänzt und moderiert durch das Projektteam Berlin braucht Dich! NEO.

Tuğba Tanyılmaz machte deutlich: „Alle profitieren davon, wenn es keine Diskriminierung gibt. Alle müssen Verantwortung dafür übernehmen, was in unserer Gesellschaft passiert.“ Schulen seien, so betonte sie, „wichtige Orte, um Identität zu stärken“, zugleich aber auch „machtvolle Räume, in denen Menschen traumatisiert und blockiert werden können“.

Serdar Yazar richtete den Blick auf die Zusammenarbeit mit Betrieben: „Schulen müssen auch viel kritischer mit betrieblichen Akteurinnen sein, kollegiale Kritik üben, Feedback geben. Wenn bestimmte Kriterien nicht erfüllt sind, ist die Kooperation nicht gut genug – trotz Abhängigkeit.*“ Auch Empowerment müsse in der Praxis verstanden, nicht nur in Definitionen gedacht werden.

Eine Person aus dem Projektteam Berlin braucht Dich! NEO hob hervor, dass eine diskriminierungskritische Praxis Reflexion und Austausch erfordere: „Auf individueller Ebene muss man die eigene Positionierung und Privilegien reflektieren, Ressourcen anschauen und mehr Austauschräume schaffen – um zu klären, was realistisch in der Praxis umgesetzt werden kann.“ Für Empowerment brauche es zudem „Nachhaltigkeit und eine Vertrauensperson mit Expertise.“

Jonas Schmidt betonte die Bedeutung von Unterstützungsstrukturen: „Wir müssen ansprechen, wenn irgendetwas im Praktikum nicht gut läuft oder Ressourcen fehlen. Das braucht Zeit – und Zeit kostet Geld. Es braucht eine Schulleitung und/oder ein Kollegium, die nicht nur sagen, was gut läuft, sondern auch, was schiefgeht. Es braucht Mut, Nerven, Vertrauen in den Prozess, Ausprobieren, neue Partnerinnen, aber auch Unterstützungsstrukturen in der Verwaltung, zu denen die Schulen gehen können, wenn Diskriminierungsvorfälle passieren.“*

Neben der Notwendigkeit für kritische Aushandlungen und dem Stärken von Handlungskompetenzen, betonten alle Panelistinnen auch, dass ein klarer politischer Wille unverzichtbar sei: Langfristige Finanzierung von Trägerinnen, differenzierte Statistiken zum Übergang Schule-Beruf, die Diskriminierungserfahrungen und Ausgrenzungsmechanismen berücksichtigen und die Integration von Berufsorientierung in die landesweite Fachkräftestrategie.

Damit diese wichtigen Impulse Wirkung entfalten können, arbeitet BQN aktuell an einem Policy Paper.

Was bleibt?

Der lebendige Austausch während der gesamten Veranstaltung zeigte das ehrliche Interesse und die Motivation der Teilnehmenden, wirklich etwas zu verändern. Und es machte klar: Es braucht Räume, in denen Schulpersonal und Berufsorientierung-Träger*innen ehrlich in den Dialog treten und voneinander lernen können. Denn diskriminierungskritische Übergänge von Schule in den Beruf sind möglich – wenn Schulen ihre gestalterischen Möglichkeiten nutzen und Synergien geschaffen werden.

Wir machen weiter – wie Du weiter Teil davon sein kannst

Diskriminierungskritische Schulentwicklung braucht konkrete und praxisnahe Ansätze, die strukturelle Gegebenheiten als Basis nehmen und sowohl individuelle als auch kollektive Lernprozesse fördert.

Für Berliner Schulen: Wir beraten aktuell Schulen in mehrmonatigen Prozessbegleitungen und bieten Erstberatungen für Berliner Schulen an, die keine Kapazitäten für einen gesamten Prozess haben, sich aber dennoch Impulse für ihre individuellen Bedarfe wünschen. Buche Dir eine kostenlosen Termin mit unserem Team!

Gut zu wissen: Wir arbeiten zurzeit an einer Publikation zu diskriminierungskritischer und empowernder Berufsberatung und -orientierung, die Anfang 2026 erscheinen soll. Von den Grundlagen zu Antidiskriminierung im Übergang Schule-Beruf über die kritische Reflexion der Rolle als Berater*in bis zur Frage, wie wir gemeinsam Strukturen verändern können – sie gibt Impulse für Praxis und Politik, verständlich und stärkend. Schaue Dich bis dahin doch mal im Wissensteil unserer Website um. Dort findest Du weitere Publikationen, praxisnahe Tools und Arbeitshilfen – auch für den Bereich Schule.

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