Diskriminierungskritische Berufsorientierung – ein Pfeiler demokratischer Teilhabe
In den vergangenen Wochen haben wir in unserer Serie auf Instagram gezeigt, was diskriminierungskritische Berufsorientierung wirklich bedeutet: Sie nimmt die Lebensrealitäten junger Menschen (insbesondere von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte und/oder Rassismuserfahrung) ernst, baut Barrieren ab und schafft Empowerment. Sie gelingt nur, wenn Berufsberatende ihre Rolle kritisch reflektieren, ihre Handlungsspielräume nutzen und aktiv ins Tun kommen.
Dafür braucht es kontinuierliche diskriminierungskritische Weiterbildung, die es Fachkräften ermöglicht, strukturelle Benachteiligungen wahrzunehmen und in der Beratung gezielt gegen Ungleichheiten zu arbeiten. Ebenso wichtig ist eine diskriminierungskritische Organisationsentwicklung in Schulen, Beratungsstellen und Verwaltungen, damit nicht nur einzelne Berater*innen, sondern ganze Strukturen chancengerechter werden. Doch all diese Bemühungen werden erschwert, wenn die nötigen Mittel fehlen und Investitionen gekürzt werden.
Der Berliner Senat hat im Vergleich zum Vorjahr rund 400 Millionen Euro im Bereich Bildung, Jugend und Familie gekürzt – und das betrifft auch die Berufsorientierung¹. Welche Konsequenzen zieht das nach sich?
Die Kürzungen im Bereich Berufsorientierung bedeuten nicht nur weniger Angebote für Jugendliche – sie bedeuten weniger Unterstützung und weniger Bestärkung in einer entscheidenden Lebensphase. Statt Chancen auszugleichen, werden bestehende soziale Ungleichheiten weiter verstärkt. Besonders Jugendliche mit Migrationsgeschichte und/oder Rassismuserfahrung verlieren so Zugänge und Perspektiven. Gleichzeitig geraten die Menschen unter Druck, die seit Jahren engagiert für Chancengerechtigkeit arbeiten. Viele Berufsberatende sind in ohnehin prekären Arbeitsverhältnissen tätig und bangen nun um die Fortführung ihrer Projekte und Stellen – und damit auch darum, ob sie Jugendliche weiterhin begleiten und stärken können.
Diese Unsicherheit ist eine enorme Belastung und sie schwächt die Strukturen, die wir dringend brauchen, um jungen Menschen echte Teilhabe zu ermöglichen.
Eine diskriminierungskritische Berufsorientierung stärkt nicht nur individuelle Chancen – sie ist zugleich ein Schutzschild für Demokratie. Wenn junge Menschen erleben, dass ihre Perspektiven zählen und sie gleiche Zugänge erhalten, wächst Vertrauen in eine Gesellschaft, die Vielfalt und unterschiedliche Lebensrealitäten anerkennt. Werden diese Angebote geschwächt oder fallen gänzlich weg, entstehen Lücken und Ausgrenzungen, die antidemokratische Kräfte ausnutzen. Sie greifen Unzufriedenheit und das Gefühl des Übersehenwerdens auf, um Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen zu schüren und spalten so die Gesellschaft weiter.
Damit Berufsorientierung diese demokratiestärkende Funktion erfüllen kann, brauchen wir gut ausgebildete Fachkräfte und Organisationen, die Vielfalt und Antidiskriminierung nicht als Zusatz, sondern als Kern ihres Auftrags begreifen.
Gerade in dieser Situation wird Solidarität entscheidend. Wir brauchen starke Netzwerke: Räume, in denen Berater*innen sich gegenseitig unterstützen, voneinander lernen, Verbündete gewinnen und gemeinsam Kraft entwickeln, um den Kürzungen entgegenzuwirken. Netzwerke sind Orte, an denen Solidarität praktisch wird und an denen Empowerment nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Fachkräfte entsteht.
Doch Netzwerke allein reichen nicht. Es braucht auch ein klares politisches Bekenntnis und eine langfristige Finanzierung, die den Wert dieser Arbeit anerkennt. Verlässliche Investitionen des Landes Berlin sind entscheidend, damit alle Jugendlichen die Unterstützung erhalten, die ihnen einen gleichberechtigten Start ins Berufsleben eröffnet. Eine solche Investition ist nicht nur eine Frage der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, sondern auch ein Beitrag zu Demokratie und sozialer Gerechtigkeit.
Genauso entscheidend ist die kontinuierliche Förderung diskriminierungskritischer Weiterbildung und Organisationsentwicklung – sie stärkt die Qualität der Beratung und sichert, dass Institutionen Jugendlichen wirklich chancengerechte Zugänge bieten.
Wir stellen uns klar gegen Kürzungen und unterstützen das Bündnis Berlin ist #unkürzbar. Denn nur mit Solidarität, starken Netzwerken und einer kontinuierlichen Stärkung diskriminierungskritischer Praxis können wir Demokratie und Gerechtigkeit sichern.
¹Quelle: Neue Kürzungsliste des Senats! Kürzungschaos und 39 Millionen Euro weniger im Bildungsbereich. (2025). Linksfraktion.berlin. URL: https://tinyurl.tools/5253e61d. Zugriff am 06.10.2025.